„Abstimmung 21“ will Volksabstimmungen möglich machen
Die Kampagne „Abstimmung 21“ fordert Volksentscheide auf Bundesebene. Im September 2020 starten sie ihre eigene Probeabstimmung um zu beweisen, dass dieses Vorhaben in Deutschland möglich ist. Was sie bewirken wollen und wie das Projekt umgesetzt wird, berichtet Dr. Manfred Brandt.
Wie weit der Mindestlohn ansteigt, was mit alten Lebensmitteln passiert und ob es ein verpflichtendes Lobbyregister gibt: Über Gesetzesänderungen sollen die Bürger*innen mitentscheiden können – zumindest, wenn es nach „Abstimmung 21“ geht. Die Kampagne hat sich zum Zeil gesetzt, die repräsentative Demokratie durch direkte Demokratie zu ergänzen. Die Probeabstimmung am 20.09.2020 soll den Vorgaben einer echten Wahl so nah wie möglich kommen. Rein rechtlich gesehen handelt es sich hierbei aber um eine Meinungsabfrage. Es erhalten alle Haushalte in Hamburg-Ottensen und Wedel Wahlunterlagen und Abstimmungshefte von „Abstimmung 21“. Wer außerhalb der genannten Orte wohnt, konnte sie kostenlos auf ihrer Website anfordern. Dieses Angebot haben 80.000 Menschen in Anspruch genommen. Auch Jugendliche hatten dazu die Möglichkeit, denn die Teilnahme ist bereits ab einem Alter von 16 Jahren möglich. Für 2021 planen sie eine weitere Abstimmung.
Pro und Kontra
Der Slider zeigt, welche Argumente für und welche gegen Volksabstimmungen sprechen. Euch fällt noch mehr ein? Dann schreibt es gerne in die Kommentare und diskutiert mit den Leser*innen über dieses Thema.
Totschlag-Argument Nr. 1: Zu komplexe Themen
Um dem Totschlag-Argument Nummer eins, die Themen sein zu komplex für „das einfache Volk“ entgegenzuwirken, setzt „Abstimmung 21“ auf eine gute Informationslage. In der Praxis bekommt jede*r ein Abstimmungsheft zu den Wahlunterlagen per Post. Darin finden sie ausreichende Informationen zu den Abstimmungspunkten. Um das zu realisieren, haben sich mehrere gemeinnützige Träger zusammengeschlossen. „Wir können sehr gut auf schweizer Erfahrung zurückgreifen“, erzählt Dr. Manfred Brandt von abgeordnetenwatch.de. Dort sind Volksabstimmungen in zweiter oder letzter Instanz bereits möglich. Doch in der Vergangenheit kam es auch da zur Stimmungsmache gegen Minderheiten, wie etwa beim Minerettenverbot.
Brandt unterstützt das Projekt seit ungefähr zwei Jahren. Zusammen mit den anderen Trägern entwickelte er das Abstimmungsheft für die Probeabstimmung. „Die Orientierung ist an den schweizer Abstimmungsheften gelaufen: Wo liegt das Problem? Welche Gesetze werden berührt? Was sind die Pro und Kontra Argumente?“ All diese Informationen finden sich dort wieder. Das sei gar keine leichte Aufgabe gewesen, erzählt er. Die Kampagne versuchte Experten von beiden Seiten, für die Schilderung der Thematik zu gewinnen. Das war vor allem im Abstimmungspunkt „Kohleaussteig 2030“ ein Problem. Erste Stimmen kritisieren die mangelnde Beleuchtung der Kontra-Argumente in diesem Thema. „Die großen Energieträger, die auch Kohle verfeuern, die wollten alle nicht. Die kneifen einfach“, berichtet der Natur- und Agrarwissenschaftler über seine Erfahrung.
Folgende Themen stehen zur Abstimmung:
- Kohleausstieg 2030
- Verpflichtendes Lobbyregister
- Kein Fracking (Methode zur Erdgas-Gewinnung)
- Lebensmittel: spenden statt verschwenden
- Bundesweite Volksabstimmung
- Mindestlohn 12 €
- Bedingungsloses Grundeinkommen
- Ökologische Landwirtschaft
Die Auswahl erfolgte anhand der Recherche auf einer Plattform für Online-Aktivismus. „Die Idee dahinter ist, dass wir Themen wollen die eine hohe Akzeptanz haben. Dann haben wir geguckt: Was läuft eigentlich gut bei Change.org?“
Das Ziel: eine Gesetzesänderung
Unter Beachtung der Datenschutzregeln werden die Ergebnisse veröffentlicht. Mit der Aktion hoffen sie auf eine Win-Win Situation: Mehr Verständnis für die aufgeführten Themen auf der einen Seite, als auch für Volksabstimmungen auf der anderen Seite. Mit der Aktion möchte „Abstimmung 21“ eine Verfassungsänderung bewirken. „Abstimmungen sind eigentlich im Grundgesetz vorgesehen“, so Brandt.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Artikel 20, Absatz 2 (Grundgesetz)
Er berichtet weiter: „Es ist im Moment nur für die Neugliederung von Bundesländern in Artikel 29 geregelt. Das Grundgesetz muss geändert werden und dafür braucht es eine 2/3 Mehrheit im Bundestag. Deshalb ist unser Ziel die Bundestagsabgeordneten zu überzeugen.“
Finanzierung ohne staatliche Hilfe
Wenn über 80.000 Briefe in deutsche Briefkästen flattern, dann braucht es viele helfende Hände. Insgesamt arbeiten 150 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und zwei Honorar-Kräfte an dem Projekt. Die Finanzierung läuft über Spenden und ohne staatliche Unterstützung. Neben Abgeordnetenwatch sind auch noch Democracy International e.V., Change.org, Omibus für direkte Demokratie.org, German Zero, Expedition Grundeinkommen und Mehr Demokratie e.V. (Landesverband Hamburg) an der Kampagne beteiligt.
3 Kommentare
Herzkoma
So stell ich mir Demokratie vor. Es geht nicht an, dass eine Person, die an der Spitze steht, alle Politiker entlässt, die anderer Meinung sind, um dann selbstherrlich zu regieren. Das erinnert an eine Diktatur: Der Volkswille hat keine Chance mehr. Gute Sache, kommt leider sehr spät. Ich bin voll dafür. Andere Länder zeigen uns den Weg. Du machst dich einmal stark für mehr Gerechtigkeit. Das zeigt deine tiefe Menschlichkeit und dein Wille zu mehr Gerechtigkeit. „Demos“ kommt aus dem Griechischen und heißt: „Vom Volke aus“. So soll es sein ❤
Anita Stall
Vielen Dank für dein Feedback und deine freie Meinungsäußerung zum Thema! 🙂
mikeosterath
…eine interessante Vorgehensweise, ich bin gespannt was sich daraus ergibt.