Daumen raus an der Straße, ein Zeichen für "ich will mitgenommen werden"
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Trampen: Daumen raus oder Daumen runter?

Nele Kolf trampte unter anderem schon in Kanada, auf Neuseeland und von Deutschland nach Italien. Ihr Vertrauen in die Welt brachte sie nicht nur an beliebte Reisezeile, sondern bescherte ihr auch eine gefährliche Fahrt in fünf Meter Tiefe. Sie war gerade einmal 18 Jahre alt, als sie das erste Mal in das Auto eines Fremden stieg. Trotz ihres Unfalls findet Nele, Deutsche haben bei dem Thema „einen Stock im Arsch“.

„Ich habe einfach darauf vertraut, dass nichts passiert“

Gerade einmal volljährig und schon steigt die Backpackerin bei Fremden ins Auto. Das hat nicht allen gefallen: „Meine Oma, die war immer so: ‚Oh Gott Nele – Tu so was nicht! Hast du keine Angst? Ich höre hier ständig nur Horrorgeschichten.’“ Damit hat sie nicht ganz Unrecht.

Nele beim Trampen in Griechenland (Foto: © Andreas D. )

Immer wieder berichten Medien von Übergriffen auf Reisende. Eine aktuelle polizeiliche Statistik, die Straftaten beim Trampen dokumentiert, gibt es jedoch nicht. Die letzte Studie wurde 1989 vom Bundeskriminalamt erfasst. Dort heißt es, dass kriminelle Handlungen selten mit Trampen in Verbindung stehen. Gefährlicher seien Verkehrsunfälle. Auch der Tramping-Verein „Abgefahren e.V.“ berichtet: „Es ist nicht viel gefährlicher als nachts allein durch die Straßen zu laufen.“

Für Nele ist das kein Grund zur Panik. „Ich habe mich wirklich nie mit dem Gedanken befasst, dass mir etwas passieren könnte. Ich habe einfach vertraut und mein Leben in die Hände des Universums gegeben“, sagt sie.

Ein Quäntchen Glück

Das erste Mal trampt die 25-Jährige zusammen mit einer Gruppe auf Neuseeland. Aber auch wenn sie alleine reist, stellt Nele sich an den Straßenrand und hofft auf eine Mitfahrgelegenheit. Entweder so – oder sie nutzt die Gunst der Stunde.

Das soll jedoch nicht heißen, dass die Reiselustige sofort in jedes haltende Auto einsteigt. Das Wichtigste ist für sie: „Hör auf deinen Bauch! Hast du ein gutes Gefühl bei der Person, die anhält oder nicht?“ Damit ist sie immer „gut gefahren“.

„Wir standen gerade im Stau“, erinnert sich die gelernte Friseurin. Sie unterhält sich mit dem Fahrer und es stellt sich heraus, dass er sie nicht bis ganz an Küste Neuseelands bringen könne. Nele muss sich schnell einen neuen Fahrer suchen.

Gut, dass zu diesem Zeitpunkt alle Autos stillstehen. So muss die Abenteuerin immerhin niemanden mehr anhalten. Kurzerhand lässt sie ihren Rucksack im Auto zurück, steigt aus und geht zwischen den PKWs entlang. „Ich habe mir mehrere Autos anguckt und dann irgendjemanden gefragt, ob er mich dorthin bringen kann. Es hat tatsächlich auch direkt geklappt.“, erzählt Nele. Sie holt ihre Sachen aus dem anderen Auto und steigt bei einem älteren Mann mit grauem Haar und Falten ein. „Genau in dem Moment, in dem ich eingestiegen bin, ging es weiter. Der Stau hat sich plötzlich in Luft aufgelöst.“

Aus den Autositzen werden häufig Betten

Ihre Reisen hat Nele auf Fotos festgehalten. (Foto: © Anita Stall)

Jedes Mal entwickeln sich nette Gespräche mit den Fahrern. „Die wollen ja auch etwas von dir erfahren, sonst würden sie nicht anhalten.“ In ihren Augen habe jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen. Auch wenn sie meistens nur einige Stunden mit den Fahrern teilt, reicht das für Nele aus, um zu wissen, wie sie ticken. Bei ihrer letzten Tramp-Reise nach Italien, vor zwei Jahren, steigt sie alleine bei zwei Männern ins Auto. Als sie ihnen erzählt, dass sie noch keinen Schlafplatz habe, bekommt Nele ein verlockendes Angebot. „Die haben mich mit in ihr Hotelzimmer geschmuggelt. Dann konnte ich bei denen auf dem Boden schlafen, mit meinem Schlafsack.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Nele bei Unbekannten übernachtet.

Neles Unfall: Ein Ride in fünf Meter Tiefe

Jedoch hat sie beim Trampen nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Einer ihrer Fahrer baut einen Unfall und alle Insassen stürzen in die Tiefe. „Es hat in Strömen geregnet. Wir sind bei dem eingestiegen, weil wir schon länger gewartet haben.“ Wie Nele und ihre Freundin während der Fahrt erfahren, hat der Mann schon eine lange Reise hinter sich. Er ist von Australien nach Neuseeland geflogen. Direkt im Anschluss fährt er von Christchurch (Neuseeland) mit dem Auto weiter über Blenheim, Nelson und Greymouth. Sein Ziel ist die Stadt Queenstown. Für diese Strecke braucht man im Normalfall mit dem Auto über 16 Stunden.

Die rote Linie zeigt die Route des Fahrers. (Foto: © TUBS, Route selbst eingezeichnet)

„Er hatte nicht geschlafen, wenig gegessen und wollte komplett durchmachen – bis er an seinem Ziel ankommt“, erinnert sich Nele zurück. Als er sie und ihre Freundin in Greymouth mitnimmt, hat er bereits über die Hälfte der Strecke hinter sich. „Der Typ ist fast eingeschlafen. Der war wirklich nicht mehr bei der Sache.“ Das kommt den beiden komisch vor und sie sprechen ihn darauf an. Ihre Empfehlung, eine Pause zu machen, winkte der jedoch nur ab.

Die Straße ist kurvenreich und eng. „Man musste immer an den Ecken warten, um den Verkehr durchzulassen.“ Das ist jedoch kein Grund für den Fahrer mal „einen Gang runterzuschalten“ und langsamer zu fahren – ganz im Gegenteil. „Ich habe mich innerlich schon an den Felsen klatschen gesehen.“ An einer besonders engen Stelle, am Franz Joesph Gletscher, ist es so weit: Der Fahrer verliert die Kontrolle über sein Auto und gerät ins Schleudern. „Dann sind wir abgerutscht in – ich weiß nicht – fünf Meter Tiefe, sieben Meter Tiefe. Du guckst aus dem Fenster und plötzlich dreht sich alles. Es ging bergab und wir haben uns drei Mal überschlagen.“ Gestoppt wird das Auto von zwei Baumstämmen, die Schlimmeres verhindern.

Von der Straße aus ist das Auto kaum sichtbar. (Foto: © Nele Kolf)

„Meine Freundin hat sofort reagiert. Sie hat das Fenster runtergekurbelt und ist raus ins Freie.“ Sie klettert den Berg hoch, um Hilfe zu holen. „Ich habe mich dann um den Fahrer gekümmert, weil der auf der Seite lag“, erzählt Nele. Auch sie entkommen durch ein Fenster und steigen den Berg hoch – bis sie wieder auf der Straße sind. „Als ich dann oben war habe ich einfach geschrien, gesungen, getanzt. Da war so ein Sonnenstrahl und er hat mir wieder Leben eingehaucht.“, erinnert sich die Blondine. „Meine Freundin war weiß im Gesicht.“ Auch beim Fahrer sitzt der Schock tief. Jetzt ist er definitiv wach.

Die nächsten zwei Wochen steigen die beiden Tramperinnen in kein Auto mehr ein. Doch dann geben sie sich einen Ruck und stellen sich ihrer Angst. „Wir wurden von zwei japanischen Damen mitgenommen. Die sind zwanzig gefahren, wo man fünfzig fahren durfte.“ Dieser Volltreffer bringt sie und ihre Freundin nicht nur an ihr nächstes Ziel, sondern sorgt auch dafür, dass sie ihr Vertrauen in die Welt zurückgewinnen.

Trampen als Frau: Fluch oder Segen?

In ihrem Geschlecht sieht Nele einen Vorteil: „Als Frau wirst du eher mitgenommen, weil du nicht als kriminell angesehen wirst.“ Länger als eine Stunde steht die Tramperin nie am Straßenrand. Am schwierigsten war es für sie, aus Hannover wegzukommen. „Deutschland hat einen Stock im Arsch“ ist ihre Begründung dafür.

„Es ist schwieriger wahrgenommen zu werden, weil jeder in Deutschland Scheuklappen vor den Augen hat.“

Beim Trampen ist sie nicht ein einziges Mal Opfer von Überfällen, Gewalt oder sexueller Belästigung geworden. Auf den Wunsch ihrer Mutter hin, nimmt Nele ein Pfefferspray mit auf Reisen. Sie selbst glaubt jedoch nicht, jemals eine Waffe benutzen zu müssen. „Ein Messer habe ich eigentlich immer dabei, aber nicht um mich zu verteidigen, sondern um meinen Apfel zu schneiden.“


Das nimmt Nele mit auf ihre Reisen

Text: Anita Stall

Fotos: Anita Stall, Nele Kolf, Andreas D. und TUBS (Route selbst eingezeichnet)

Journalistin (B.A.)

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