Gespräch zwischen zwei Personen in einem Konferenzraum
Wissenschaft

Die Gender-Debatte aus sprachwissenschaftlicher Sicht

„Drei von zehn Polizisten sind Mütter.“ Dieser Satz mag zuerst absurd klingen. Trotzdem ist er grammatikalisch korrekt. Warum das aber nicht für unser Denken gilt und was für Auswirkungen das haben kann, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Ein Gastbeitrag von Alexander Runge

Die Relevanz von Gendern ist immer noch in vielen Bereichen stark angezweifelt. Birgit Kellers „Gendergaga: Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ hat es sogar zum Bestseller geschafft. Auch in der Wissenschaft sind Personen wie Dr. Tomas Kubelik zu finden, der einen Vortrag mit dem Titel „Wie Gendern unsere Sprache verhunzt“ [1] hält. Es steht also die Frage im Raum: Bringt Gendern wirklich etwas oder führt es zum Zerfall unserer Sprache?

Wie Sprache unser Denken beeinflusst

In der Gender-Debatte ist das Hauptargument auf der Befürwortungsseite, die Annahme, dass Sprache unser Denken beeinflusst. Deswegen sei es nötig, dass unsere Sprache so weiterentwickelt wird, dass sie auch alle Geschlechter berücksichtigt. Bei der Betrachtung der Beziehung von Sprache und Denken sind drei Möglichkeiten denkbar:

  1. Sprache bestimmt unser Denken
  2. Denken bestimmt unsere Sprache,
  3. Sprache und Denken stehen in einer Wechselwirkung zueinander.

Die erste Möglichkeit erscheint unwahrscheinlich, da es möglich ist etwas zu denken, ohne es wirklich in Worte fassen zu können. Besonders prominent ist hier das Tip-on-the-tongue-Phänomen, bei dem ein Wort auf der Zunge liegt, aber nicht ausgesprochen werden kann. In den Gedanken ist klar, was gemeint ist, aber sprachlich kann es nicht ausgedrückt werden.

Für die zweite Möglichkeit sei darauf hingewiesen, dass ein Wort zur falschen Zeit große Wut hervorrufen kann. In diesem Beispiel beeinflusst die Sprache das Denken maßgeblich. Am wahrscheinlichsten scheint also die dritte Möglichkeit zu sein: Sprache und Denken wirken wechselseitig aufeinander ein.

In der Fachliteratur wird diese Position vielfach unterstützt. Es wird davon ausgegangen, dass die Einflussrichtung davon abhängig gemacht werden sollte, inwiefern eher die Sprache oder eher das Denken in dem betreffenden Kontext relevant ist [2].

In der Forschung gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die Gendern empirisch untersucht haben. Es gibt Forschungen in verschiedenen Disziplinen (z.B. Linguistik, Kognitionpsychologie, Psycholinguisitik, Erziehungswissenschaft, Medien- und Textwissenschaft) und mit unterschiedlichen Methoden (z. B. Messungen von Reaktionszeiten, Lesegeschwindigkeiten, Befragungen, Interviews) durchgeführt. Trotz der großen Bandbreite an Disziplinen und Methoden, kamen alle zu ähnlichen Ergebnissen und weisen auf das enge Verhältnis von Sprache und Denken hin [3].

Eine Studie zeigte beispielsweise, dass Kinder die Möglichkeit einen Beruf erlernen zu können, deutlich höher einstuften, wenn zuvor mit einer genderoffenen Sprache über die jeweiligen Personen in dem Beruf gesprochen wurde. Deutlich geringer schätzten die Kinder die Möglichkeit den Beruf erlernen zu können ein, wenn das generische Maskulinum verwendet wurde [4].

Auch Kinder können von einer genderoffenen Sprache profitieren.
Der Mythos des generischen Maskulinums

Das generische Maskulinum beschreibt die Wortbildung der Mehrzahl eines Wortes hinsichtlich des Genus, wenn von einer gemischten Gruppe gesprochen wird. Aus mehreren Polizisten und Polizistinnen werden dann „die Polizisten“. Es wird verallgemeinert die maskuline (Polizisten) statt der femininem (Polizistinnen) Form verwendet. Auf der Befürwortungsseite wird behauptet, dass das generische Maskulinum dazu führt, dass nicht alle Menschen repräsentiert werden.

Auf der kritischen Seite der Gender-Debatte wird z.B. von Dr. Tomas Kubelik behauptet, „die Gleichsetzung von Genus und Sexus“ [5] würde nicht funktionieren, da Genus eine „rein grammatikalische Kategorie“ [6] sei. Damit meint er, dass es unsinnig wäre von dem generischen Maskulinum „die Lehrer“ auf das reale Gender zu schließen. So sei Genus eine reine Sache der Grammatik und wirke sich nicht auf die Wahrnehmung des Genders aus.

Dementsprechend bräuchte es gar keine Weiterentwicklung der Sprache und kein Gendern, da das generische Maskulinum schon alle Personen beschreibt.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es bei der Bedeutung eines Wortes, bezüglich des Genderns, nicht um Grammatik geht, sondern um Semantik. Es geht darum, dass Wörter im generischen Maskulinum eher „männlich“ verstanden werden. Bei „die Polizisten“ entsteht eher das Bild einer Gruppe männlicher Polizisten im Kopf, als einer gleichsam gemischten Gruppe Menschen, die bei der Polizei arbeiten. Zur Verdeutlichung zwei Beispiele:

  • Drei von zehn Polizisten sind Mütter.
  • Es gibt zu wenige Erzieher in Kitas.

Der erste Beispielsatz wirkt so absurd, da durch das Wort „Polizisten“ eher an eine männliche Gruppe gedacht wird. Durch „Mütter“ wird hingegen ein klares weibliches Bild produziert. Durch diese Differenz entsteht die Absurdität, was zeigt, dass das generische Maskulinum eher nur die Männer abdeckt.

Nach der Kritik am Gendern sollte im zweiten Satz klar sein, dass mit „Erzieher“ alle pädagogisch tätigen Personen in einer Kita gemeint sind. Allerdings wird der Satz eher dahin interpretiert, dass männliche Erzieher in Kitas fehlen. Bei beiden Sätzen entsteht eher das mentale Bild von männlichen Personen, als das mentale Bild einer gemischten Gruppe.

Gerade weil durch die bisher immer noch etablierte Nutzung des generischen Maskulinums nicht alle Menschen repräsentiert werden, muss die Sprache in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden. Das würde dazu führen, dass sich mehr Menschen angesprochen fühlen und damit gesamtgesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen eingedämmt werden können [7].

Genderoffene Sprache, um wirklich ALLE anzusprechen

Eine genderoffene Sprache soll jedoch nicht nur Männer und Frauen ansprechen. Sie soll auch offen für alle Gender sein, die außerhalb des binären Gendersystems existieren. Allerdings kann keine allumfassende Genderregel für alle Wörter gefunden werden. In den nächsten Jahren ist somit Kreativität bei der Weiterentwicklung der Sprache gefordert.

Ein schönes Beispiel dafür ist, dass Hannover seit 2019 aus „Rednerpult“ statt dem etwas sperrigen Begriff „Redner*innenpult“, den Begriff „Redepult“ nutzt [8].


Quellen:

[1] Kubelik, Tomas (2021a): Dr. Tomas Kubelik: Wie Gendern unsere Sprache verhunzt.  https://www.youtube.com/watch?v=Ri-kVYDTEAk, zuletzt aktualisiert am 11.04.2021.

[2] Beyer, Reinhard; Gerlach, Rebekka (2018): Sprache und Denken. 2. Auflage. Wiesbaden: Springer (Lehrbuch).

[3] Diewald, Gabriele (2018): Zur Diskussion: Geschlechtergerechte Sprache als Thema der germanistischen Linguistik – exemplarisch exerziert am Streit um das sogenannte generische Maskulinum. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 46 (2), S. 283–299.

[4] Kalas, Annkatrin (2021): Sprache und Geschlecht neu – Universität Osnabrück. https://www.uni-osnabrueck.de/universitaet/organisation/zentrale-verwaltung/gleichstellungsbuero/verknuepfte-seiten/sprache-und-geschlecht/, zuletzt aktualisiert am 11.04.2021.

[5] Kubelik, Tomas (2021b): Dr. Tomas Kubelik: Wie Gendern unsere Sprache verhunzt. https://www.youtube.com/watch?v=Ri-kVYDTEAk&t=1279s, zuletzt aktualisiert am 11.04.2021.

[6] Kubelik, Tomas (2021c): Dr. Tomas Kubelik: Wie Gendern unsere Sprache verhunzt.  https://www.youtube.com/watch?v=Ri-kVYDTEAk&t=1333s, zuletzt aktualisiert am 11.04.2021.

[7] Kalas, Annkatrin (2021): Sprache und Geschlecht neu – Universität Osnabrück. https://www.uni-osnabrueck.de/universitaet/organisation/zentrale-verwaltung/gleichstellungsbuero/verknuepfte-seiten/sprache-und-geschlecht/, zuletzt aktualisiert am 11.04.2021.

[8] Schreckenberg, Daniel (2019): „Lehrende“ und „Redepult“: Stadt Hannover schafft Geschlechter ab. https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_85129176/-lehrende-und-redepult-stadt-hannover-schafft-geschlechter-ab.html, zuletzt geprüft am 11.04.2021.

2 Kommentare

  • mikeosterath

    Über die Thematik Weiterentwicklung in Richtung genderoffener Sprache habe ich bislang noch nie nachgedacht. Hmm … warum eigentlich (nicht) frage ich mich nun .

    Vermutlich ist es weil ich ein Mann bin und ich mich daher durch den vorherrschenden Gender-Sprachgebrauch eh mehr angesprochen fühlen kann als Frauen … ?

    Tatsächlich ist die Weiterentwicklung in Richtung genderoffener Sprache ein kleiner, jedoch nicht unwichtiger Baustein für mehr Gerechtigkeit und Anerkennung denke ich.

    (-:

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