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Weltraummüll: Ins All und davon?

Rund 8.000 Tonnen Schrott im All können zum Problem werden. Schon kleine Überbleibsel mit dem Durchmesser eines Kirschkerns entwickeln im All die Kraft einer Handgranate. Sie stellen eine große Gefahr für die Raumfahrt dar. Was passiert wenn nichts unternommen wird? Welche Aufräum-Werkzeuge wurden schon entwickelt? Wie sieht es in der Zukunft aus? Vier Weltraum-Expert*innen liefern die Antworten.

Ausgediente Satelliten, Reste von Raketen und Trümmerteile umkreisen die Erde. Sie gehören zum Weltraummüll. Besonders gefährlich wird es vor allem dann, wenn diese zusammenstoßen. Der dabei entstandene Schrott kann andere Trümmerteile treffen und durch die Kollision für noch mehr Weltraummüll sorgen. Würde diese Kettenreaktion nicht unterbrochen werden, wäre der ganze Weltraum voller Trümmerteile.

Das hat der damalige NASA-Mitarbeiter Donald Kessler bereits 1978 entdeckt. „Erst in den 2000er Jahren wurde der Umfang des potenziellen Problems in der breiten Öffentlichkeit verstanden“, meint Carmen Velarde vom OHB’s Space Debris Centre of Competence in Bremen. Damit eine Kollision verhindert werden kann, muss klar sein wo sich der Weltraumschrott befindet.

Ortung der Objekte im Weltraum

Das passiert anhand von Weltraumbeobachtungsradar-Systemen, wie dem TIRA (Tracking and Imaging Radar). Mit seiner 34 Meter großen Reflektor-Antenne sendet es Funkwellen ins All. „Wir benutzen dieselben Wellen, mit denen wir zum Beispiel über das Handy telefonieren oder wenn man das Radio einschaltet“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Peter Knott. Er ist geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR. Mit dem TIRA lassen sich Objekte mit einer Größe von bis zu zwei Zentimeter in 1.000 Kilometer Entfernung finden. So ist es möglich, festzustellen um welches Objekt es sich handelt und in welcher Bahn es fliegt. „Diese Information liefern wir an das Weltraumlagezentrum“, erläutert Knott das weitere Vorgehen. Um einen Zusammenstoß zu umgehen, können die Satellitenbetreiber daraufhin ein Ausweichmanöver fliegen und ihre Satelliten retten.

Trotzdem rechnet man laut Studien alle fünf bis neun Jahre mit einem Zusammenprall. „Die erste und bisher einzige Kollision war 2009. Das heißt eigentlich sind wir überfällig“, sagt Dr. Manuel Metz, Experte im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Damit das auch so bleibt, gilt vor allem eine Regel im Weltraum: Satelliten dürfen nicht länger als 25 Jahre im Erdorbit bleiben. Das bezieht sich allerdings nur auf neue Satelliten. Deshalb müssen sie entweder auf eine andere Umlaufbahn oder zurück zur Erde gebracht werden.

Dafür gibt es folgende Ansätze:

  • Vermeidung  
  • Wiedereintritt
  • Friedhofs-Orbit
  • Müllabfuhr im All

Lösungen

Vermeiden von Müll

Ein wichtiger Aspekt ist es von Anfang an möglichst wenig Müll zu verursachen. Damit kein Werkzeug, das die Astronauten und Astronautinnen für Außenarbeiten benutzen, im All verloren geht wird es an ihnen festgebunden. Außerdem sorgten in der Vergangenheit Tests von Anti-Satellitenwaffen für Weltraumschrott. Diese hatten nur ein Ziel: die Zerstörung von gegnerischen Satelliten. Da die Kollateralschäden – und der damit verursachte Müll – jedoch zu hoch waren, ist das bereits verboten. Das OHB’s Space Debris Centre of Competence vermutet aber, dass durch regelmäßige Weltraum-Aktivitäten und Unfälle schon viel mehr Trümmerteile entstanden seien.

Wiedereintritt in die Erdatmosphäre

Ausrangierte Teile, die sich in einer erdnahen Umlaufbahn (2.000 Kilometer Höhe) befinden, lassen sich durch das kontrollierte Absenken ihrer Flugbahn in der Atmosphäre entsorgen. Dort können sie durch die Luftreibung vollständig verglühen. Es ist aber auch möglich, dass die Teile nicht zerstört werden, sondern auf der Erde landen. Das ist auch 2019 mit dem chinesischem Weltraumlabor Tiangong-2 passiert. Es wurde zum kontrollierten Absturz gebracht. Die besonders starken Triebwerke machten eine Änderung der Flugbahn möglich und lenkten es in Richtung Erdoberfläche. Das Raumlabor landete im Südpazifik, weit weg von jeglichen Inseln. Seine Landung könnt ihr in dem Video verfolgen. Damit ein solcher Absturz keine Gefahr für Menschen darstellt, wird in der Regel ein großes Zielgebiet mit sehr wenig Schiff- und Flugverkehr gewählt.

Auch ein unkontrollierter Wiedereintritt ist nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. „Wenn ich den Satelliten sich selbst überlasse dann darf das Risiko, dass ein Mensch durch abstürzende Trümmerteile verletzt werden könnte, nicht höher als 1 zu 10.000 sein“, erklärt Manuel Metz. Dementsprechend muss man das Verglühen kleiner Satelliten (mit einem Gewicht von unter einer Tonne) sicher stellen. Nur so geht von ihnen keine Gefahr aus. Dieses Prinzip geht auf: Bislang ist kein Fall bekannt, bei dem ein Mensch oder ein Gebäude bei einem Absturz getroffen wurde. Das ist auch sehr unwahrscheinlich, denn die Erde ist ohnehin zu 2/3 mit Wasser bedeckt.

Friedhofs-Orbit

Allerdings ist ein Absturz nicht für alle Objekte im Weltraum realisierbar. „Das funktioniert nicht bei geostationären Satelliten“, erläutert Manuel Metz. „Das sind zum Beispiel Fernseh- oder auch Kommunikationssatelliten“. Sie fliegen zu hoch, um sie in die Erdatmosphäre zu bringen. Deshalb werden geostationäre Satelliten auf eine andere Umlaufbahn gebracht, die mindestens 200 Kilometer höher liegt. Um dorthin zu gelangen, nutzen sie ihre Treibstoffreserven oder werden von Weltraumschleppern angeschoben. Bildlich gesprochen kann man sich den „Friedhofs-Orbit“ wie den Schrottplatz des Alls vorstellen. „Da gibt es keine Restatmosphäre mehr, die für ein Absinken sorgt. Die Satelliten bleiben dort für immer“, betont Metz.

Müllabfuhr im All

Denkbar ist auch ein Abschleppdienst, vor allem für große Teile. „Dafür sind robotische Methoden am besten geeignet. Das heißt entweder ein Greifmechanismus, der Objekte ziehen kann oder eben Netze und Harpunen“, erklärt Manuel Metz. Wie in den Videos zu sehen ist, wurden diese Methoden auch schon erfolgreich im All getestet – mit Erfolg! Im Jahr 2025 wird zum ersten Mal seit Beginn der Raumfahrt im All ein „Abschleppwagen“ mit Greifarmen zum Einsatz kommen. Damit wird die Mission „ClearSpace SA“ der Startschuss für aktive Beseitigung von Weltraummüll sein.

Fortschritte in der Forschung

Um eine Kollisionskaskade zu umgehen arbeiten die Forscher*innen weiterhin an Lösungsansätzen. Einer davon ist ein großer Elektromagnet, der Objekte in eine andere Umlaufbahn stößt. Das einzige Problem: Die meisten von ihnen sind aus Kunststoff oder Aluminium und damit nicht magnetisch. Außerdem überlegen Experten und Expertinnen Laser im All einzusetzen. „Wenn das technisch irgendwann mal realisierbar ist, könnte man damit Kollisionen von kleineren Objekten verhindern. Durch den Laser lenkt man sie in ihrer Bahn ab, ohne sie zu zerstören“, betont Metz.

Um auch Objekte in mehr als 1.000 Kilometer Höhe orten zu können, hat das Frauenhofer-Institut im Auftrag des DLR neben TIRA ein neues System entwickelt: GESTRA. Das hat im Vergleich zum TIRA keine mechanisch gesteuerte Antennen-Keule mehr. Sie wird elektronisch gedreht und ist zudem kleiner. Deshalb wird dieses System nicht (wie TIRA) für die Ortung von kleinen, bereits bekannten Partikeln verwendet, sondern zur Bestimmung von großen, unbekannten Objekten eingesetzt. „Das ist ein System, das speziell für die Weltraumüberwachung entwickelt wurde und mit dem wir auch unbekannte Objekte im 3.000 Kilometern Höhe finden wollen“, erklärt Peter Knott. „Das Ganze ist als der Beginn eines Netzwerks gedacht. Dann kann man mehrere Teile des Himmels überwachen.“

Nicht nur in der Ortung des Weltraumschrotts gibt es Fortschritte. Auch die Satelliten wurden angepasst: „Alle neuen Satelliten sind jetzt so gebaut, dass sie mit möglichen Kollisionen fertig werden“, verkündet Mark Fittock vom OHB’s Space Debris Centre of Competence. Das ist durch eine Schutzschicht an den Satelliten möglich. Der Fokus liegt jedoch auf der Verfolgung der Position von Weltraumschrott, damit das Kollisionsrisiko geringer wird.

Ein Blick in die Zukunft

Manuel Metz hält es für unrealistisch, dass das Kessler-Syndrom eintritt. „Sicherlich wird man erfinderisch sein, wenn es schwieriger wird die Erdorbits zu nutzen. Man kann sich schon Maßnahmen vorstellen, die das Ganze kompensieren. Zum Beispiel Satellitenstarts in sehr niedrige Erdorbits, die nicht so stark belastet sind“, beteuert er. Das hat auch finanzielle Auswirkungen: „Der erste Effekt wird sein, dass Satellitenstarts teurer werden. Wir müssen unterschiedliche Ansätze zum Starten und Fliegen verfolgen, wenn die gemeinsamen Umlaufbahnen gefährlich werden“, prognostiziert Carmen Velarde. „Die generelle Aufmerksamkeit trägt dazu bei, Druck auf Regierungen und Satellitenbetreiber auszuüben, um diese Probleme anzugehen“, heißt es weiter.

Das zeigt Wirkung. Im Dezember 2020 unterschreiben die ESA und ClearSpace den weltweit ersten Vertrag zur Entfernung von Weltraummüll. Die erste Mission wird demzufolge im Jahr 2025 geschehen. Das hat ein neuer Rekord im Haushaltsgeld der ESA möglich gemacht, der von den Mitgliedsländern beschlossen wurde. Dadurch kann die ESA mit 14,4 Milliarden Euro mehr rechnen. Deutschland beteiligte sich mit 3,3 Milliarden Euro am stärksten. Außerdem ist in dem Vertrag verankert, dass Satelliten entweder von selbst wieder auf die Erde zurückkommen oder verglühen müssen. Möglich ist auch ein Nachweis, dass sich ein anderes Unternehmen um die Rückholung kümmert. Ob das die Rettung für das Weltraummüll-Problem darstellt, wird sich zeigen. Bis zum Start der ClearSpaceSA bleibt das beste Werkzeug immer noch sicherzustellen, dass sich der Weltraummüll nicht vergrößert.

Journalistin (B.A.)

4 Kommentare

  • mikeosterath

    Es ist schon erstaunlich was alles möglich ist. Als Ingenieur bin ich natürlich sehr gespannt was die Weltraum Müll Entsorgungstechniken (Netzte, Harpunen etc.) für Fortschritte in den kommenden Jahrzehnten machen.
    Das sind sicherlich auch wieder neue Meisterleistungen der Ingenieurskunst.

  • Herzkoma

    Sehr gut und umfänglich recherchiert. Das Müllproblem der Menschen hat sich schon lange auch auf den Raum um der Erde manifestiert und deine Warnung ist nicht neu. Doch muss man immer wieder auf gewisse Dinge hinweisen, immer dran bleiben, damit im Bewusstsein bleibt, was wir der Natur antun und auch die Sternenwelt gehört zur Natur.

    Wir selbst sind eigentlich unbedeutend, gemessen an der Unendlichkeit des Raums, der doch wohl irgendwo endet und irgendwann wieder verschwunden sein wird, um dem Nichts, das am Anfang war, seinen angestammten Platz zurück zu geben. Dann ist wieder Ruhe, bis zum nächsten Urknall und es wiederholt sich alles ..

    Journalistik, ja, das hätt ich dir gewünscht, das ist wohl dein Metier, deine Berufung. Da wird wohl noch einiges von dir kommen. Und ich wünsch mir unbequeme Themen, aufdeckende Stories, tiefgehende Recherche gegen jeden Widerstand. Du hast das Herz, die Seele und den Mut dazu.

    Es gibt schon genug seichte Stories im Internet, die jedesmal den Untergang des Abendlandes proklamieren, aber wenn man die „Neuigkeiten“ gelesen hat, stellt man fest: Binsenwahrheiten in einen neuen Rahmen gefasst, spektakulär aufgearbeit, aber nichtssagend. Zeitverschwendung, was auf der Startseite von Google oder den Mailanbietern als „neue Nachrichten“ aufgetischt wird. Eigentlich Verarsche. Und die suchen immer noch Studenten, die für sie diese „Meldungen“ verfassen. Ja, gegen das Hornorar zieht man sich eben was aus den Fingern .. Nicht mein Ding.

    LG Sven 🙂

    • Anita Stall

      Hey Sven,
      vielen Dank für dein Feedback und die lieben Komplimente 🙂
      Du hast Recht: Im Vergleich zum All sind wir wirklich ziemlich, ziemlich klein.

      Ich wünsche dir einen schönen Start in die Woche 🙂

      Liebe Grüße
      Anita

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